Niederrheinische Insektenforschung im Wandel der Zeit (Gastbeitrag)

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Seit dem 19. Jahrhundert ist der Niederrhein ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der Insektenforschung, auch Entomologie genannt. Dies führte, bedingt durch den Wohnsitz gleich mehrerer Insektenforscher im damaligen Crefeld, zur Gründung des Entomologischen Vereins Crefeld im Jahr 1905. Das damalige Ziel: die Erforschung der Insekten des Niederrheins mit der Beschreibung ihrer vielfältigen Arten sowie ihrer facettenreichen Lebens- und Verhaltensweisen.

Und auch heute, rund 116 Jahre später, forschen Mitglieder des Vereins zur Insektendiversität. Bei rund 33.500 verschiedenen Insektenarten in Deutschland eine nicht endende und spannende Vielfalt, die zur naturkundlichen Beobachtung und Forschung einlädt.

Weit über 100 Jahre und fast 2.000 insektenkundliche Veröffentlichungen von Mitgliedern später, gelangte die Insektenforschung vom Niederrhein in die öffentliche Wahrnehmung. Im Jahr 2017 galt dem Entomologischen Verein Krefeld durch internationale Forschungsergebnisse weltweites mediales Interesse. Im wissenschaftlichen Fachmagazin Plos One veröffentlichten Mitglieder in einem internationalen Team einen Artikel mit einem dokumentierten Rückgang von rund 75 Prozent in der Biomasse aller erfassten Insekten, die zwischen 1989 und 2016 mit einem gleichbleibenden, langfristigen Standard erfasst wurden.

© EVK (Entomologischer Verein Krefeld) – Historischer Sammlungskasten mit Pflanzengallen und verursachenden Gallwespen, die daraus gezüchtet wurden. Die musealen Insektensammlungen im Entomologischen Verein Krefeld dokumentieren auch die Lebensweisen von Insekten am Niederrhein.

Dabei handelte es sich um eine Metastudie, also eine zusammengefasste Betrachtung der unzähligen Untersuchungen zur lokalen Insektendiversität in Schutzgebieten. Die Ergebnisse führten innerhalb kürzester Zeit zur gesellschaftspolitischen Diskussion um das Insektensterben. Die Wichtigkeit von Insekten, als größter bekannter Teil unserer Biodiversität, kam in einer breiten Öffentlichkeit an.

Doch was wissen wir heute zur Situation der Insektenvielfalt in Deutschland? Die Antwort ist kurz: viel zu wenig! So kennt das Bundesamt für Naturschutz (BfN) nur für weniger als 25  Prozent aller Insektenarten, wie es um deren Gefährdung steht. Für mehr als 75 Prozent aller Insekten wissen wir nichts. Während historisch noch an einer Vielzahl verschiedener Insekten geforscht wurde, fokussierte die Wissenschaftslandschaft in Mitteleuropa durch angewandte Forschung und den praktischen Naturschutz auf kleine Zielartengruppen, mit deren Hilfe Naturschutz vermeintlich gut funktionieren sollte.

© EVK – Moderne Insektenforschung aus der Vogelperspektive: Malaisefalle zur Untersuchung der Insektendiversität im Krefelder Naturschutzgebiet Latumer Bruch. Drohnenfotos sind Teil einer umfangreichen Begleitdokumentation der Forschung und ermöglichen auch Aussagen zum Landschaftsbild in der Umgebung des Schutzgebietes.

Es wurden bevorzugt beispielweise Heuschrecken, Libellen, Tagfalter oder Laufkäfer untersucht und die eigentliche breite Biodiversität über Jahrzehnte hinweg überwiegend vernachlässigt. Und während noch im 19. Jahrhundert an winzigen Mücken- und Wespenarten geforscht wurde, wurden diese Gruppen in einigen Fällen nie mehr betrachtet. Unser Wissen im Jahr 2021 ist teilweise also über 200 Jahre ohne neue Erkenntnisse gealtert. Und so kam es, dass der Entomologische Verein Krefeld aktuell in zahlreichen Kooperationen den weitgehend unbekannten Teil der Insektenvielfalt erforscht. Schließlich sind es Kenntnislücken, die viel Forschung brauchen.